Awareness-Konzept

Awareness bezeichnet einen achtsamen und bewussten Umgang mit Betroffenen von
struktureller Diskriminierung. Dabei leitet sich awareness vom Englischen „to be aware“ ab,
was so viel bedeutet wie um etwas wissen, sich über etwas bewusst sein. Dieses etwas
beschreibt in unserem Verständnis von Awareness vor allem die individuellen Grenzen & Bedürfnisse von Dir selbst aber auch Anderen.
Awareness ist eine Haltung, die sich gegen jede Form von Diskriminierung, Gewalt und Grenzverletzungen stellt. In der Praxis heißt das, Strukturen vor Ort zu schaffen, an die sich Betroffene wenden können. Damit wird versucht Diskriminierung, Gewalt und Grenzverletzungen entgegenzuwirken.
Da unsere Gesellschaft von ungleichen Machtverhältnissen geprägt ist, gilt es, diese zu reflektieren und abzubauen. Menschen werden aufgrund bestimmter Merkmale bevorteilt (Privilegierung) und benachteiligt (Diskriminierung) – ob absichtsvoll oder unbewusst ausgeübt. Kein Mensch ist vorurteilsfrei und diskriminierungsfrei im Umgang mit anderen. Deshalb muss eine bewusste Reflexion darüber bei jeder einzelnen Person stattfinden. Verletzendes und grenzüberschreitendes Verhalten, wie z.B. sexistische, rassistische, queerfeindliche, transfeindliche, ableistische, antisemitische, klassistische oder andere Übergriffe, werden bei unseren Veranstaltungen nicht toleriert. Grenzüberschreitendes Verhalten richtet sich nach dem individuellen Empfinden der betroffenen Personen.

1. Grundsätze

SAFER SPACES

bedeutet auf Deutsch “möglichst sichere Räume“. Wir verzichten auf den Begriff safe space, weil wir meinen, dass kein Ort komplett und für alle sicher ist. Durch ein Awareness-Team können Orte sicherER gestaltet werden. Betroffene erhalten Unterstützung und die Anwesenheit des Awareness- Teams gibt dem Thema Platz und sensibilisiert die Anwesenden.

KONSENS

Nur ein eindeutiges ‚ja‘ heißt ja! Alles andere heißt nein.
Zustimmung zu erfragen oder aktiv zu äußern kann ungewohnt sein, ist aber wichtig.
Jede Person sollte den Anspruch an sich haben, Situationen im Umgang mit anderen einzuschätzen, Grenzen zu respektieren und nachzufragen. Rechtfertigungen für persönliche Grenzsetzungen sind nicht notwendig und dürfen nicht eingefordert werden. Die eigene Wahrnehmung von Interaktionen entspricht oft nicht der Wahrnehmung anderer Personen, weshalb es wichtig ist, sich aktiv zu versichern, dass sich alle Beteiligten wohl fühlen.

DEFINITIONSMACHT

Wenn eine Situation als übergriffig empfunden wurde, wird das so akzeptiert!
Die betroffene Person darf dann entscheiden, wie mit der Situation umgegangen wird.
Das Awareness-Team unterstützt dabei und kann ggf. verschiedene Umgangsmöglichkeiten aufzeigen.

PARTEILICHKEIT:

Ein Awareness-Team handelt parteilich im Sinne der betroffenen Personen.
Betroffenen wird ein geschützter Rahmen geboten, um von ihren Erfahrungen berichten zu können, ohne dabei mit Zweifeln oder sogar Schuldvorwürfen konfrontiert zu werden. Das Erzählte wird nicht bewertet oder in Frage gestellt und so angenommen, wie es Betroffene erlebt haben.
Solidarität steht an erster Stelle.

2. Unsere Rolle dabei:

Wir wollen als Awareness-Team Menschen, die auf unseren Veranstaltungen
grenzüberschreitendes Verhalten erlebt haben auffangen. Wir wollen ihnen die Möglichkeit
geben sich wieder handlungsfähig und selbstbestimmt zu fühlen. Zudem sehen wir es als
unsere Aufgaben die Veranstaltungen möglichst barrierefrei zu gestalten und transparent zu kommunizieren, welche Barrieren vorhanden sind. Jede Person soll vor der Veranstaltung entscheiden können, ob sie teilnehmen möchte bzw. kann.
Alle Mitglieder des Awareness-Teams tragen eine Warnweste als Erkennungsmerkmal. Sie können jederzeit angesprochen werden. Das Awareness-Team besteht aus Paaren mit je mindestens einer FLINTA* Person. Diese sowie auch alle cis Männer, die Teil des Awareness-Teams sind, wurden zuvor durch einen Workshop geschult und/oder haben Erfahrungen in diesem Bereich.
Unser Team ist nicht von allen Diskriminierungsformen selbst betroffen.
Wir als Awareness-Team werden auf der Demo stets präsent sein und initiativ eingreifen.
Wenn uns eine Situation komisch vorkommt und die Körpersprache der beteiligten Person(en) darauf hindeutet, dass sich jemand nicht wohlfühlen könnte, werden wir die Personen ansprechen. Fühlt euch nicht angegriffen, wenn wir eine Situation fälschlicherweise als nicht konsensual einschätzen. Wir fragen lieber einmal mehr nach als einmal zu wenig.
Falls es auf der Demo zu Polizeigewalt kommt, sind wir für die Betroffenen da und unterstützen. Wir stehen in engem Kontakt zu Versammlungsleitung und Ordner*innen, welche die konkrete Kommunikation mit der Polizei übernehmen.

Wir achten darauf, dass:

  • Es Schilder und Flyer gibt, die auf das Awareness-Team hinweisen
  • Es kostenloses Leitungswasser gibt
  • FLINTA* im Awareness-Team sind
  • Wir als Awareness-Team den Leitfaden und ein „How to Awareness“ im Vorhinein der Veranstaltung lesen und besprechen
  • Alle Menschen im Awareness-Team nüchtern sind
  • wir aktiv ansprechen und Präsenz zeigen
  • wir stark alkoholisierte Menschen im Auge behalten und ggf. Ordner*innen informieren oder den Krankenwagen rufen
  • bei Streitigkeiten von einer Security eingegriffen wird
  • wir deeskalierend wirken

Umgang in einer konkreten Situation

1)  Vorstellen

2)  Situation schildern lassen

a)  wir sind grundsätzlich solidarisch mit der betroffenen Person und hinterfragen ihre Gefühle nicht

b)  wir geben der betroffenen Person Raum zu sprechen

3)  Fragen, was die betroffene Person braucht

4)  Zeigen, welche Möglichkeiten es gibt

a)  Die Veranstaltung sicher verlassen

b)  ein*e Freund*in holen/anrufen

c)  die als bedrohlich empfundene Person wird der VA verwiesen

d)  Kommunikation mit der übergriffigen Person

e)  eine Liste mit Psycholog*innen aushändigen

f)  ein Gespräch und/oder Ablenkung

g)  Tee, Wasser, Snacks, Decke, …

5)  In jedem Fall unterliegt ein Kontakt mit dem Awareness-Team der Schweigepflicht. Es wird jedoch für einen team-internen Reflexionsprozess anonymisiert über die Fälle gesprochen werden.

3. Unser Verständnis von Diskriminierungsformen

Wir wollen auf unseren Veranstaltungen keine Form von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Ableismus und Altersdiskriminierung. Diese Begriffe bedeuten für uns:

I. Rassismus

a. Rassistisch ist jede Praxis, welche Menschen diskriminiert, beleidigt, bedroht, verleumdet oder an Leib und Leben gefährdet wegen

  • gruppenbezogener körperlicher Merkmale (wie Hautfarbe)
  • und/oder ihrer ethnischen bzw. nationalen Herkunft
  • und/oder bestimmter (zugeschriebener) kultureller Merkmale (wie Sprache, Religion, o LebensstiloderNamen)

b. Kulturrassistisch ist jede Ideologie, welche die folgenden drei Ideen miteinander verbindet:

  • Konstruktioneiner Gruppenidentität
  • Behauptung einer kulturellen Wesensart
  • Bewertung der Unterschiede zwischen den Gruppen

II. Sexismus

a. Sexismus = Vorurteil + Macht

b. Sexismus ist die geschlechtsspezifische Diskriminierung und die Einstellungen, Stereotypenund kulturellen Elemente, die diese Diskriminierung fördern.

c. Angesichts des historischen und anhaltenden Ungleichgewichts der Macht, bei dem Männergegenüber Frauen privilegiert sind (Male Privilege), ist ein wichtiger, aber oft übersehener Teil des Begriffs, dass Sexismus Vorurteil plus Macht ist. Also lehnen Feminist*innen die Vorstellung ab, dass Frauen sexistisch gegenüber dya-cis Männern sein können, weil Frauen die institutionelle Macht fehlen, die Männer haben.

d. dya-cis Männer sind im Patriarchat privilegiert gegenüber Frauen, trans Männern, nichtbinären Personen

III. Antisemitismus

a. Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüd*innen.

b. Kann sich als Hass gegenüber Jüd*innen ausdrücken.

c. Antisemitismus richtet sich in Wort/Tat gegen jüdische/nichtjüdische Einzelpersonenund/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen/religiöse Einrichtungen.

  • Religiöser (direkt gegen Judentum als Religion (Rituale, Glauben) gerichtet (→ “Gottesmord”, “Ritualmorde”)
  • Sozialer (gegen eingebildeten oder tatsächlichen sozialen Status gerichtet, “Juden sind alle reich”, “Rockefeller und Rothschild”)
  • Politischer (imaginierte, homogene Gruppe mit politischer Macht (“Die da oben”, “jüdische Weltverschwörung”, “Brunnenvergifter”, “Protokolle der ‘Weisen von Zion’”)
  • Rassistischer (Grundlage für Shoa (Juden als “Menschenrasse” mit genetischer Disposition)
  • Sekundärer (Verharmlosung/Leugnung der Shoa (“Shoa-Gedenken ist nur zur Diffamierung von Deutschen da”, Holocaust-Leugnung, “Ausnutzung der Shoa für ‘eigene Zwecke’”)
  • (Antizionistischer) (spezifische Alleinstellung von Israel als “jüdischer Staat”)

IV. Queerfeindlichkeit

a. Abwertung von Menschen, weil sie nicht den gesellschaftlichen Normativen entsprechen.  

  • Erläuterung: Normativität beschreibt jenen Zustand, welcher gesellschaftlich als „Norm“ konstruiert wurde und dabei die Bedürfnisse und Empfindungen jener außer Acht lässt, welche diese „Norm“ nicht erfüllen.

 b. Dyanormativität

  •  “Menschen werden mit einem eindeutigen Chromosomen- und/oder Intimbausatz geboren!“, Ausschluss von inter Personen.

c. Allonormativität

  •  „Alle Menschen haben das Bedürfnis nach Sex, eine Libido oder grundsätzliche sexuelle/romantische Bedürfnisse!“ “Alle Menschen verspüren sexuelle/romantische Anziehung zu anderen Personen!”, Ausschluss von Menschen, die auf dem asexuellen/aromantischen Spektrum liegen.

d. Heteronormativität

  • „Menschen sind von Personen des anderen (sic!) Geschlechts angezogen!“, Ausschluss von nicht-hetero Personen. e. Cisnormativität

e. Cisnormativität

  • „Menschen müssen das Geschlecht sein, welches ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde!“, Ausschluss von trans Personen.

f. Mononormativität

  • „Menschen können nur eine Person wirklich (sic!) lieben! Wenn du mehr als eine Person liebst, liebst du eine davon nicht richtig! Ausschluss von polygamen Personen.

V. Ableismus

a. Ableismus bezeichnet die Auf- und Abwertung von Menschen aufgrund ihrer (Un-) fähigkeiten oder der (Un-)fähigkeiten, die ihnen zugeschrieben werden

  •  “Normale” Fähigkeiten (laufen, verbal kommunizieren, hören, “in die Augen gucken” beim Reden, Schmerzen durch Weinen zeigen
  •  “Unnormale” Fähigkeiten (einen Rollstuhl nutzen, schriftlich kommunizieren / gebärden, gehörlos/ schwerhörig, Blickkontakt vermeiden, Schmerzen verbalisieren)

b. “normale” Fähigkeiten werden höher/positiver bewertet

c. “unnormale” Fähigkeiten werden schlechter/negativer bewertet→ Bewertungen haben Konsequenzen!


d. Synonyme: Behindertenfeindlichkeit, Kranken- und Behindertenfeindlichkeit, Fähigkeitismus

VI. Altersdiskriminierung

a. bezeichnet eine soziale und ökonomische Benachteiligung von Personen oder Gruppen aufgrund ihres Lebensalters (betrifft insbesondere jüngere Menschen sowie ältere Menschen)

b. umfasst die Diskriminierungsform Adultismus → ist auf ein ungleiches Machtverhältnis zwischen jungen Menschen und Erwachsenen zurückzuführen und beinhaltet den Machtmissbrauch von erwachsener Menschen gegenüber Kindern ausschließlich aufgrund ihres Alters

VII. Klassismus

a. bezeichnet die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder Position. Dies betrifft meist Personen die Arbeitslos sind oder aus Haushalten mit wenig Geld kommen.

4. Mögliche Barrieren der Demo

  • Hörbeeinträchtigung: Die Redebeiträge werden in Gebärdensprache übersetzt.
  • Sehbeeinträchtigung: Die komplette Demo-Route wird vorab von Menschen aus demAwareness-Team auf Schlaglöcher, hohe Bordsteinkanten und ähnliche Barrieren fürsehbeeinträchtigte Menschen überprüft und ggf. barrierefrei gemacht.
  • Neurodiversität: Möglicherweise kommt es durch Teilnehmer*innen der Demo zum Zünden vonBengalos/Pyrotechnik. Demnach sind Rauchentwicklung und laute Knallgeräusche möglich.
  • Rollstuhlgerechtigkeit: Die komplette Demo-Route wird vorab von Menschen aus demAwareness-Team auf Schlaglöcher, hohe Bordsteinkanten und ähnliche Barrieren fürRollstuhlfahrer*innen überprüft und ggf. barrierefrei gemacht.
  • Trauma: Möglicherweise kommt es durch Teilnehmer*innen der Demo zum Zünden vonBengalos/Pyrotechnik. Demnach sind Rauchentwicklung und laute Knallgeräusche möglich.
  • Sprache: Die Redebeiträge der Demo werden in Deutsch, Englisch und Gebärdenspracheübersetzt.

5. Was wir nicht leisten können

Als Awareness-Team sind wir nicht für politische Diskussionen zuständig. Falls im Rahmen von politischen Diskussionen jedoch grenzüberschreitendes Verhalten beobachtet oder gemeldet wird, greifen wir ein und sind ansprechbar. Auch sind wir keine ausgebildeten Psycholog*innen oder Mediator*innen. Alle Personen arbeiten vor und während der Demo ehrenamtlich und haben daher nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung.

6. Telefonliste

Löwentaxi – 0341/982222
Telefonseelsorge – 0800 / 1110111
Antidiskriminierungsbüro Leipzig – 0341 / 306 907 77
Frauen für Frauen eV – 0341 / 3068778, 0341 / 4798179 Frauennotruf – 0341 / 30 61 0800
Frauen- und Kinderschutzhaus Leipzig – 0341 / 55 01 04 20 S.H.E. Frauenschutzhaus – 0341 / 44 23 82 29
RosaLinde Leipzig eV – 0341 / 879 69 82
Psychiatrische Ambulanz der Uniklinik Leipzig – 0341 / 97-24304 Sozialpsychiatrischer Dienst – 0341/99990001

Dank

Dieses Awareness Konzept basiert auf dem Leitfaden des Autonomen Feministischen Kollektivs der Universität Hannover, sowie des PLATZ Projekts und B Aware Berlin. Nicht zuletzt danken wir Minzgespinst und Initiative Awareness für Workshop und Basis unseres Konzepts.